Pfingsten: Der Mittler. Mose

 

Mose stieg empor den Berg,
die Wolke hüllte den Berg,
Ich-bin-da's Scheinen wohnte auf dem Berg Sinai ein.
Die Wolke hüllte ihn sechs Tage.
Am siebenten Tag rief er Mose mitten aus der Wolke.
Das Ansehn von Ich-bin-da's Scheinen
war wie eines verzehrenden Feuers
am Haupt des Bergs
- vor den Augen der Israeliten.
Mose kam mitten in die Wolke,
er stieg auf zum Berg.
Mose blieb auf dem Berg
vierzig Tage und vierzig Nächte.

Mose sprach:
Gib mir doch zu erkennen deinen Weg,
erkennen will ich dich.
Lass mich doch dein Scheinen sehen!

Ich-bin-da sprach:
Ich selber will vorüberziehen lassen
all meine Schönheit an deinem Antlitz!
Ich will ausrufen: Ich-bin-da! vor deinem Antlitz!
Dass ich begnade, wen ich begnade,
dass ich mich erbarme, wes ich mich erbarme.
- Mein Antlitz aber kannst du nicht sehen,
denn nicht sieht mich der Mensch und lebt.
Ich schirme meine Hand über dich,
bis ich vorübergezogen,
hebe ich dann meine Hand weg,
sieht du meinen Rücken
- aber mein Antlitz wird nicht gesehen.
 

Schemot (Exodus) 24,15-18; 33,13.18-20.22-23

 


 

Der Aufstieg des Mose erzählt vom "Scheinen" Gottes, ein "verzehrendes Feuer"  in den Augen der Israeliten, "all meine Schönheit"  in den Worten Gottes an seinen Knecht Mose. In diesem "Feuer vom Sinai" verglüht in den Worten der Propheten der Bilderkult der Nachbarvölker:

"Zum Weg der Völker hin lasst euch nimmer belehren. Denn die Kultbilder der Völker: Tand ists, denn als Holz haut mans aus dem Wald, mit dem Meißel wirds dann gemacht von den Händen des Formers, mit Silber, mit Gold verschönt ers, man festigts mit Nägeln und Hämmern, dass es nicht wanke. Wie die Vogelscheuche im Gurkenfeld sind die, reden können sie nicht, tragen muss man sie, tragen, denn schreiten können sie nicht - Fürchtet euch nimmer vor ihnen, denn böstun können sie nicht, aber auch Gutes zu wirken ist nicht bei ihnen. Also sprecht zu ihnen: Die Götter, die Himmel und Erde nicht haben geschaffen, abgeschafft werden sie vom Erdreich, unterhalb dieses Himmels hinweg" (Jeremia 10,2a.3-5.11).

Was macht die religiösen Bilder, die Kultstatuen der Nachbarvölker, in den Augen des Propheten zu nichts als "Vogelscheuchen im Gurkenfeld"?

Der Glaube Israels trifft eine wirkliche Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf: Die Religionskritik der Bibel ist eine Warnung, das Heil dort zu suchen, wo es nicht zu finden ist. Das Heil von geschaffener Wirklichkeit zu erwarten, auf irgendeine Erfahrung der Welt "Göttliches" zu projizieren hält die Menschen in falscher Furcht und in illusionären Hoffnungen gefangen.

Der Glaube Israels richtet sich auf einen Gott, der den Menschen seinen Namen offenbart - Ich-bin-da, das ist mein Name für immer (Exodus 3,15) - und der Menschen bei ihrem Namen ruft wie Mose - Gnade hast du gefunden in meinen Augen und mit Namen habe ich dich erkannt (Exodus 33,17). Die Gottesbotschaft der Bibel ist eine Warnung, das Heil dort zu verpassen, wo es zu finden ist: Den menschengemachten "Gottesbildern" fehlt gerade das, was Israel von Gott erfahren hat: Gott spricht und Gott geht mit.

Am Sinai richtet Mose zwei Bitten an Gott: Gib mir doch zu erkennen deinen Weg" (Exodus 33,13) und Laß mich doch deine Erscheinung sehen" (Exodus 33,18). Gottes Antlitz kann Mose nicht schauen, aber im Vorübergang der Schönheit Gottes darf sein Blick auf Gottes "Rücken" fallen."Den Rücken eines anderen sieht vor allem der, der hinter ihm hergeht, der ihm nachfolgt! Gott zeigt Mose seinen Weg, indem er an ihm vorübergeht und zugleich dabei verkündet, wie dieser sein Weg aussieht" (Erich Zenger): Gnade und Erbarmen.

Gottes Schönheit ist eine im Vorübergang. Kein "Verweile doch, du bist so schön", sondern eine, die in Bewegung setzt, zur Nachfolge treibt. Gott zeigt seine Schönheit dem Mose und offenbart ihren Glutkern: "Gnade und Erbarmen".

Eine Liebe als verzehrendes Feuer. Ein Glutwind. Pfingsten am Sinai!
 

 


© Ulrich Sander 2002