Pfingsten: Der Mensch. Adam

 

Gott schuf den Menschen als seine Statue
als ein Kultbild Gottes schuf er ihn,
männlich, weiblich schuf er sie.

Am Tag, da Ich-bin-da, Gott,
Land und Himmel machte
- Mensch - Erdling "adam" - war keiner,
die Erde - "adama" - zu bedienen:
da, aus dem Land stieg ein Dunst
und netzte all das Antlitz des Erdbodens
und Ich-bin-da, Gott, bildete den Menschen,
Staub von der Erde,
blies in seine Nase Geist des Lebens,
und der Mensch wurde zum lebenden Wesen.
 

Bereschit (Genesis) 1,27; 2,4b-7

 


 

Die "Erschaffung Gottes nach dem Bild des Menschen" (Ludwig Feuerbach): So formulieren Philosophen den Verdacht, bei religiösen Vorstellungen handele es sich um "Projektionen" menschlicher Selbsterfahrung. Menschen machen sich "Bilder" von Gott: greifbare in der Form von Statuen und Abbildungen und erzählerische in der Form von Geschichten.

Demgegenüber haben Philosophen selbst sehr abstrakte Gottesvorstellungen entwickelt. Aber dieser "Gott der Philosophen" weist - außer als Baustein der denkerischen Bewältigung der Welt - keinen Bezug mehr auf zum Bedrohtsein und Gelingen menschlichen Lebens.

Es scheint, als stünden für den religiösen Glauben zwei Fallen bereit:

  • Die Falle der Verdinglichung: Sie macht aus religiöser Erfahrung ein unbewegliches "Gottesbild". Das Ringen um ihre Identität führt Menschen dann nicht zu einem Ringen mit dem lebendigen Gott, sondern wird religiös stillgelegt. "Gott": nicht mehr als die Projektion dieser oder jener menschlichen Erfahrung? Durchschaut entlarvt dieser Gott sich als Nichts.
  • Die Falle der Entweltlichung: Sie macht aus religiöser Erfahrung einen ausgegrenzten Bereich. "Gott" wird freigehalten von dem Ringen der Menschen um ihre Identität. "Gott": eine Wirklichkeit, die nur jenseits aller menschlichen Erfahrung angerufen werden kann? Unberührbar verdunstet dieser Gott zu Nichts.

Für den biblischen Glauben ist Gott alles andere als eine menschliche "Projektion". Im Kult der Nachbarvölker des biblischen Israel stand das im verborgenen Allerheiligsten des Tempels aufgerichtete "Gottesbild" im Mittelpunkt. Der Tempel als die architektonische Verkörperung des Kosmos und in seiner Mitte ein plastisches Bild, die "Gottesstatue", das magische Kraftzentrum des Tempel. Die Statue verbürgte die Gegenwart der kosmischen Kraft. Der Zweck dieser Kultbilder war nicht, die Gottheiten möglichst ähnlich abzubilden, sondern zeichenhaft deren Kraft zu vermitteln: nicht das "ähnliche" Bild, sondern die "kraftvermittelnde Statue". Eine solche Gottestatue ist im Kult Israels von der Tora verboten. Der Tempel von Jerusalem hatte kein Gottesbild.

Ein bildloser Gott? Die Bilder, in denen die Bibel von der Erschaffung der Welt erzählt, sind Bilder für den Bau eines Hauses. Himmelsgewölbe und Erde als Decke und Boden, die Himmelslichter als Lampen. Gott baut nicht für sich ein Haus, sondern eines für die Geschöpfe. Dieses Haus ist aber zugleich ein Tempel, denn in seiner Mitte steht eine "Gottesstatue": der Mensch, Mann und Frau.

Bereits in der Umwelt des biblischen Israel wurde das Wort von der Gottesstatue im übertragenen Sinn gebraucht: Der König galt als lebende Gottesstatue, Ausdruck seiner Würde als Stellvertreter der göttlichen Kraft und seines Auftrag, an sein Volk diese Kraft zu vermitteln. Für den biblischen Glauben dagegen ist in allen Menschen die Kraft Gottes gegenwärtig, alle Menschen haben die Sendung, aneinander und an die ganze Welt des Lebendigen diese Kraft weiterzugeben: Jeder Mensch, männlich, weiblich, ist göttliches Kultbild in der Schöpfung.

Diese Würde des Menschen lässt sich aus einer Herkunft aus "Acker und Dunst" nicht ablesen - Sie ist Gabe des Geistes Gottes. Gottes Geist ist der Atem, den Gott dem Menschen einbläst. Gottes Geist hebt den Menschen über das Reich des Lebendigen - aber: um dessen Diener zu sein: Adam, Erdling, um die Erde, Adama, zu bedienen. Der Mensch als Bild Gottes: Das erschafft keinen Gott nach dem Bild des Menschen. Es richtet den Menschen aus auf den verborgenen Gott.

Die Menschen als Bild Gottes: Zeichen dafür, dass die Schöpfung Ort der Gegenwart Gottes ist. Die Menschen als Bild Gottes: Aufgabe aller, der Gegenwart Gottes Wirkung zu verschaffen. Menschen sind, so bezeugt der biblische Glaube, "Zeichen und Werkzeug" des Geistes Gottes, das grundlegende Sakrament der Gegenwart des Schöpfers in seiner Schöpfung.

Am Ursprung des Menschen: Pfingsten!
 

 


© Ulrich Sander 2002