Eines ist wichtig



Einmal kam ein armer Mann in das Kloster Kenninji, als Meister Eisai Abt war, und sagte: "Meine Familie ist bettelarm und seit Tagen haben wir nichts gegessen. Meine Frau und unsere Kinder sind am Verhungern. Bitte, habt Mitleid mit uns."
Zu dieser Zeit gab es keinerlei Gewand, keine Nahrung und keine anderen Besitztümer im Tempel. Es gab nur ein kleines Stückchen Edelmetall, das für den Heiligenschein der gerade in Arbeit befindlichen Buddha-Statue bestimmt war. Der Abt nahm es, brach es, rollte es zusammen, gab es dem Armen und sagte ihm, er solle es gegen Nahrung eintauschen und damit den Hunger seiner Familie stillen.
Seine Schüler aber machten ihm bittere Vorwürfe: "Ist es nicht Sünde, Buddhas Eigentum zum persönlichen Gebrauch zu benutzen?" Der Meister antwortete: "Doch, das ist Sünde. Aber bedenkt den Willen des Buddha. Der Buddha schnitt sich das Fleisch und die Glieder ab und gab sie den Lebewesen. Selbst wenn wir Leuten, die am Verhungern sind, ganze Buddhastatuen gäben, so entspräche das sicher Buddhas Willen."
Und der Meister fuhr fort: "Und wenn ich wegen dieser Sünde zur Hölle führe: ich muß die Lebewesen vor dem Verhungern retten"

nach Eihei Dogen, Unterweisugen zum wahren Buddha-Weg (Shobogenzo Zuimonki), 13. Jahrhundert

Einmal kam ein armes altes Weib in das Haus der "minderen Brüder" des heiligen Franziskus und bat den Seligen um ein Almosen. Und sogleich sprach der selige Franziskus zum Bruder Petrus von Catania, der damals der Generalminister des Ordens war: "Haben wir etwas, das wir dieser unserer Mutter geben können?" Und es antwortete ihm Bruder Petrus: "Es ist nichts im Hause was wir ihr geben könnten, denn sie braucht ein Almosen, von dem sie sich ernähren kann."
In der Kirche aber hatten die Brüder ein Neues Testament, um daraus die Gebete zu sprechen; denn in jener Zeit hatten sie keine Breviere und Psalmensammlungen.
Und es sprach der selige Franziskus: "Gib unserer Mutter das Neue Testament, damit sie es verkaufe und ihren Unterhalt damit bestreite. Denn ich glaube fest, daß es dem Herrn und der heiligen Jungfrau mehr gefallen wird, nach ihm zu handeln als in ihm zu lesen." Und so gab er es ihr.

nach dem Spiegel der Vollkommenheit, dem Bericht über das Leben des Franz von Assisi, 14. Jahrhundert



© www.ulrichsander.de, Frankfurt am Main 2001