Was allen in die Kindheit scheint.  . .
. .  und worin noch niemand war



Es war schön, im Halbdunkel des Spätnachmittags am hohen, warmen Ofen zu sitzen. Im Schatten des Feuerscheins zeichneten sich an den weißgetünchten Wänden der große Stube riesige, geheimnisvolle Gestalten ab.
Am schönsten waren diese Abende am Chanukkafest. Ungeduldig erwarteten wir Vaters Rückkehr aus der Synagoge in der Kreisstadt. Auf eine Marmortischchen bereiteten wir ein einfaches Holzbrettchen vor und stellten die entsprechende Zahl von Kerzen mit dem Schammes darauf.

Achtarmige Chanukka-Menora mit dem 'Schammes'-Licht zum Entzünden in der Mitte
Sobald der Vater nach Hause gekommen war, aßen wir leckere Kartoffelpuffer zum Abendbrot, und dann versammelte sich die ganze Familie in der großen Stube. Vater sprach ein Gebet zur Feier des Wunders, das im Jerusalemer Tempel zur Zeit des großen Sieges der Makkabäer geschehen war. Damals gelang es nämlich, das Ewige Licht mit einer geringfügigen Menge von geheiligtem Öl acht Tage lang zu unterhalten. Dann zündete Vater die Kerzen an. In der stillen Stube erklang der feierliche Choral: "Maos zur jeschuati (Zuflucht, Fels meines Heiles) . . ." Und dann noch lauter der Refrain: "As egmor beschir mismor chanukat hamisbeach (Dann vollende ich mit Psalmengesang die Weihe des Altars)", bei dem unsere triumphierenden Stimmen die Fenster zum Klirren brachten. Und die Nachbarn sagten: "Die Juden feiern ihre Weihnachten, auch die unsrigen kommen bald!" Das Kerzenlicht flackerte fröhlich und Stube war vom Zauber des Chanukkaabends erfüllt. Die Eltern, die Großmutter und die älteren Schwestern gingen ihrer Arbeit nach. Wir die jüngeren Kinder blieben bei den Kerzen. Langsam kann der Nachbar Otýn angeschlurft und wir gingen an die Chanukkaspiele.
Es gab acht Kerzen, der Schammes zählte nicht mit. Der Niedergebrannte von den vorhergehenden Tagen verlosch viel früher als die übrigen Kerzen.
Aus den Memoiren von Karel Lamberk


© www.ulrichsander.de, Frankfurt am Main 2001