Lies im Namen deines Herrn!



Der Monat Ramadan ist die Zeit, in der Muslime der Mitte ihres Glaubens gedenken: der Offenbarung des Quran durch den Engel Gabriel an den Propheten Muhammad.
Die "Sira", die Biographie Muhammads durch den aus Medina stammenden Bagdader Gelehrten Ibn Ishaq, ediert durch seinen Schüler Ibn Hisham (9. Jahrhundert), gilt bis heute als "kanonische" Lebensbeschreibung und liegt dem Prophetenbild der Muslime zugrunde.
Die Sira erzählt:

Jedes Jahr zog sich der Prophet im Monat Ramadan in die Einsamkeit zurück, um zu beten und die Armen zu speisen, die zu ihm kamen. Immer wenn er am Ende des Monats nach Mekka zurückkehrte, begab er sich zuerst zur Kaaba und umschritt sie sieben oder mehrere Male. Erst dann ging er nach Hause. Auch in jenem Ramadan, in dem Gott ihn ehren wollte, in jenem Jahr, in dem Er ihn sandte, zog Muhammad wieder mit seiner Familie nach dem Berg Hira, um sich in der Einsamkeit dem Gebet zu widmen. Und in jener Nacht, in der Gott ihn durch die Sendung auszeichnete und sich damit der Menschen erbarmte, kam Gabriel zu ihm.
Als ich schlief, so erzählte der Prophet später, trat der Engel Gabriel zu mir mit einem Tuch wie aus Brokat, worauf etwas geschrieben stand, und sprach:
"Lies!"
"Ich kann nicht lesen", erwiderte ich.
Da preßte er das Tuch auf mich, so daß ich dachte, es wäre mein Tod. Dann ließ er mich los und sagte wieder:
"Lies!"
"Ich kann nicht lesen", antwortete ich.
Und wieder würgte er mich mit dem Tuch, daß ich dachte, ich müßte sterben. Und als er mich freigab, befahl er erneut:
"Lies!" Und zum dritten Male antwortete ich: "Ich kann nicht lesen." Als er mich dann nochmals fast zu Tode würgte und mir wieder zu lesen befahl, fragte ich aus Angst, er könnte es nochmals tun:
"Was soll ich lesen?"
Da sprach er:
"Lies im Namen deines Herrn, des Schöpfers, der den Menschen erschuf aus geronnenem Blut! Lies! Und der Edelmütigste ist dein Herr, Er, der das Schreibrohr zu brauchen lehrte, der die Menschen lehrte, was sie nicht wußten." (Quran Sure 96,1-5).
Ich wiederholte die Worte, und als ich geendet hatte, entfernte er sich von mir. Ich aber erwachte, und es war mir, als wären mir die Worte ins Herz geschrieben.
Sodann machte ich mich auf, um auf den Berg zu steigen, doch auf halber Höhe vernahm ich eine Stimme vom Himmel:
"O Muhammad, du bist der Gesandte Gottes, und ich bin Gabriel!" Ich hob mein Haupt zum Himmel, und siehe, da war Gabriel in der Gestalt eines Mannes, und seine Füße berührten den Horizont des Himmels.
Aus der Sira des Ibn Ishaq


© www.ulrichsander.de, Frankfurt am Main 2001